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Privatrechtliche Natur von SRO-Reglementen? Anzeichen für eine Praxisänderung

Privatrechtliche Natur von SRO-Reglementen? Anzeichen für eine Praxisänderung

Rechtsprechung
Börsen(-recht) / (Kapitalmarkttransaktionen)

Privatrechtliche Natur von SRO-Reglementen? Anzeichen für eine Praxisänderung

Urteil 2C_887/2017 des schweizerischen Bundesgerichts vom 23. März 2021

I. Ausgangslage (zusammengefasst)

Die Beschwerdeführerin, die Swisscom AG, war vom 2. August 2006 bis zum 27. April 2016 Mitglied beim PolyReg, Allg. Selbstregulierungs-Verein einer Selbstregulierungsorganisation (SRO) i.S.v. Art. 24 GwG.

Die die Swisscom AG betreibt u.a. sog. Mehrwertdienste als entgeltliche Dienstleistungen, die über mobile Fermeldedienste erbracht und angeboten werden. Anbieter der Mehrwertdienste offerieren diese im eigenen Namen und bleiben für die Angebote und Preisgestaltung verantwortlich, während die Swisscom AG die Kurznummern vergibt, die Inhalte transportiert und den Kunden die Mehrwertdienste in Rechnung stellt. Die Rechnungstellung erfolgt bei Benutzern mit Postpaid-Abo nachträglich über die monatliche Monatsrechnung, bei Benutzern mit Prepaid-Abo werden die Kosten über vorgängig aufgeladenes Guthaben belastet. Am 9. September 2016 wurde der Swisscom AG von der FINMA die Bewilligung zur Ausübung der Tätigkeit als Finanzintermediärin nach Art. 2 Abs. 3 GwG erteilt und auch das Postpaid-Abrechnungsverfahren als dem GwG unterstehende Tätigkeit qualifiziert.

Die SRO PolyReg hat gegen die Swisscom AG wegen Nichteinhaltung der gesetzlichen und reglementarischen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit dem Postpaid-Abrechnungsverfahren ein Sanktionsverfahren eingeleitet und ihr am 29. März 2017 eine Busse i.H.v. CHF 4.3 Mio. auferlegt. Dagegen erhob die Swisscom AG eine Beschwerde beim statutarischen Schiedsgericht sowie beim Bundesverwaltungsgericht. Das Letztere trat mit Urteil vom 5. September 2017 auf die Beschwerde nicht ein, dies weil der Entscheid der SRO PolyReg vom 29. März 2017 keine (hoheitliche) Verfügung darstelle, womit kein Anfechtungsobjekt vorliege. Daraufhin reichte die Swisscom AG am 17. Oktober 2017 eine Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht mit dem Antrag, das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aufzuheben und festzustellen, dass es sich beim Entscheid der SRO PolyReg vom 29. März 2017 um eine Verfügung i.S.v. Art. 5 VwVG handle, und dass das Bundesverwaltungsgericht zur Behandlung ihrer Beschwerde vom 1. Mai 2017 zuständig sei. 

Zur materiellen Beurteilung lag mithin die Frage, ob der Entscheid der SRO PolyReg vom 29. März 2017 eine Verfügung i.S.v. Art. 5 VwVG darstelle, vor (E. 3.). 

II. Erwägungen

Das Bundesgericht rekapitulierte zunächst die Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts als Vorinstanz, wonach ungeachtet der öffentlich-rechtlichen Natur der geldwäschereirechtlichen Sorgfaltspflichten der Entscheid der SRO PolyReg sich auf ein privatrechtliches Verhältnis abstütze und privatrechtlicher Natur sei. Insofern handle es sich beim Entscheid der SRO PolyReg vom 29. März 2017 nicht um eine hoheitliche Anordnung, weswegen keine vor Bundesverwaltungsgericht anfechtbare Verfügung i.S.v. Art. 5 VwVG vorliege (E. 3.2.)

Des Weiteren äusserte sich das Bundesgericht zu Formen der Selbstregulierung und nahm eine Unterscheidung zwischen freiwilliger (echter) und staatlich gelenkter (unechter) Selbstregulierung vor. Demnach liege echte Selbstregulierung vor, wenn Private privatautonom und in Ausübung ihrer Wirtschaftsfreiheit für sich selbst Satzungen – wie Standesregeln – erlassen oder Verträge schliessen. Das Ergebnis der freiwilligen oder echten Selbstregulierung sei in aller Regel als privatautonome (Branchen-) Vereinbarung zu beurteilen. Hingegen handle es sich um unechte Selbstregulierung, wenn der Staat in einem Rechtserlass die Grundlagen für die private Selbstregulierung bereitstellt; dabei entstünden bei der staatlich gesteuerten Selbstregulierung Abgrenzungsfragen, ob ihr Ergebnis als privatrechtliche Vereinbarung oder als eigentlicher, aufgrund delegierter Rechtsetzungsbefugnisse erlassener Rechtsetzungsakt des öffentlichen oder des privaten Rechts einzuordnen sei (E. 3.3.1.). Als Beispiel der unechten, staatlich gelenkten Selbstregulierung nannte das Bundesgericht das Konzept des GwG (massgebliche Fassung vom 1. Januar 2016) zur Überwachung der Einhaltung der Sorgfaltspflichten angeführt, wonach Finanzintermediäre i.S.v. Art. 2 Abs. 3 GwG zur Erfüllung ihrer Pflichten aus dem GwG, anstatt sich der direkten Aufsicht durch die FINMA zu unterstellen, sich einer der anerkannten Selbstregulierungsorganisationen anschliessen konnten. Letzteren erteile die FINMA die Anerkennung, beaufsichtige sie und genehmige deren Reglemente (E. 3.3.2.).

Zum Kern der Frage legte das Bundesgericht seine ständige Rechtsprechung dar, wonach die Reglemente i.S.v. Art. 25 GwG privatautonome (Branchen-) Vereinbarungen darstellten, dies unter anderem, weil sie als privatrechtliche (Vereins-) Satzungen lediglich für die Mitglieder der SRO verbindlich und auch die dort enthaltenen Sanktionen privatrechtlicher Natur seien (E. 4.2.). Dennoch auch wenn die SRO privatrechtlich organisiert seien und auch die von ihnen ausgesprochenen Sanktionen privatrechtlichen Charakter hätten, erfüllten sie jedoch eine öffentliche Aufgabe im Rahmen der ihnen diesbezüglich übertragenen staatlichen Kompetenzen. Das Bundesgericht betonte zudem, dass diese öffentliche Aufgabe und die mit der Geldwäschereibekämpfung verbundenen öffentlichen Interessen im Verlaufe der vergangenen Jahrzehnte kontinuierlich an Bedeutung gewonnen hätten (E. 4.3.). Dabei hob es insbesondere hervor, dass die am 1. Januar 2020 in Kraft getretene Fassung des GwG den Finanzintermediären i.S.v. Art. 2 Abs. 3 GwG eine direkte Unterstellung unter die Aufsicht der FINMA nicht mehr ermögliche. Vielmehr seien sie verpflichtet, sich einer SRO anzuschliessen (E. 4.3.3.). 

Vor diesem Hintergrund sei ersichtlich, dass sich die Geldwäschereibekämpfung in der Schweiz von ihrer anfänglichen Form der rein privaten Selbstregulierung in den vergangenen Jahrzehnten zu einer wesentlichen öffentlichen Aufgabe entwickelt habe. In diesem Lichte und in dieses Regelungsgefüge sei die Tätigkeit der Selbstregulierungsorganisationen einzuordnen. Gleichwohl hielt das Bundesgericht für den zu beurteilenden Zeitraum an der ständigen bundesgerichtlichen Rechtsprechung fest, wonach es sich bei den Reglementen i.S.v. Art. 25 GwG um [privatautonome] (Branchen-)Vereinbarungen handle (E. 4.4.).

Im Ergebnis erwies sich die Beschwerde als unbegründet, weshalb sie abgewiesen wurde (E. 6.). Damit schützte das Bundesgericht den Nichteintretensentscheid des Bundesverwaltungsgerichts.

iusNet BR-KR 25.05.2022