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Gewährung einer Ausnahme von der Angebotspflicht für den Aktionärspool der Roche Holding AG im Zusammenhang mit einem Aktienrückkauf und deren anschliessender Vernichtung im Rahmen der Kapitalherabsetzung gestützt auf Art. 136 Abs.1 lit. b FinfraG

Gewährung einer Ausnahme von der Angebotspflicht für den Aktionärspool der Roche Holding AG im Zusammenhang mit einem Aktienrückkauf und deren anschliessender Vernichtung im Rahmen der Kapitalherabsetzung gestützt auf Art. 136 Abs.1 lit. b FinfraG

Jurisprudence
Übernahmerecht

Gewährung einer Ausnahme von der Angebotspflicht für den Aktionärspool der Roche Holding AG im Zusammenhang mit einem Aktienrückkauf und deren anschliessender Vernichtung im Rahmen der Kapitalherabsetzung gestützt auf Art. 136 Abs.1 lit. b FinfraG

Verfügung der UEK 795/01 v. 4.11.2021

I. Ausgangslage (zusammengefasst)

Der Beurteilung durch die UEK lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Roche Holding AG (Roche) ist eine Aktiengesellschaft schweizerischen Rechts mit Sitz in Basel; ihr Zweck ist u.a. das Halten von Beteiligungen an Unternehmungen, die pharmazeutische und chemische Produkte aller Art fabrizieren und verkaufen. Die Roche-Aktien sind an der SIX Swiss Exchange (SIX) gemäss dem International Reporting Standard kotiert. 

Als das Bundesgesetz über die Börsen und den Effektenhandel (aBEHG) in Kraft trat, kontrollierte der in casu massgebliche weitgehend familiengeführte Aktionärspool mehr als 50 % der Stimmrechte von Roche. Zum fraglichen Zeitpunkt kontrollierte der Aktionärspool 45.01 % des Aktienkapitals und der Stimmrechte von Roche und war mit zwei Mitgliedern im Verwaltungsrat von Roche vertreten. 

Die Novartis Holding AG (nachfolgend Novartis) ist eine Tochtergesellschaft der Novartis AG; beide sind Aktiengesellschaften schweizerischen Rechts mit Sitz in Basel. Im Jahr 2001 erwarb Novartis eine Beteiligung von 20 % der Roche-Aktien. In den folgenden Jahren baute Novartis ihre Beteiligung an Roche sukzessive aus. Zum fraglichen Zeitpunkt hielt Novartis direkt eine Beteiligung, die knapp weniger als ein Drittel der Stimmrechte von Roche repräsentierte (das Novartis-Paket). 

Anfang September 2021 wurden die Vertreter des Aktionärspools im Verwaltungsrat von Roche darüber informiert, dass Novartis beabsichtigt, das Novartis-Paket zu verkaufen und Roche daran interessiert ist, dieses zu erwerben. Im Falle einer Einigung würden die erworbenen Roche-Aktien aus aktienrechtlichen und steuerlichen Gründen im Rahmen einer Kapitalherabsetzung vernichtet. Der Rückkauf des Novartis-Pakets durch Roche würde es Roche und Novartis ermöglichen, die Verzahnung der beiden Gesellschaften aufzulösen (der Rückkauf des Novartis-Pakets und die Kapitalherabsetzung nachfolgend gemeinsam die Transaktion). Die Transaktion und insbesondere die Vernichtung des Novartis-Pakets mittels Kapitalherabsetzung hätten zur Folge, dass sich die Beteiligung des Aktionärspools von knapp über 45 % der Stimmrechte auf rund 67.5 % erhöhen würde. 

Am 6. 10.2021 gelangte der Aktionärspool mit einem Gesuch an die Übernahmekommission (UEK) und beantragte unter anderem festzustellen, dass die Überschreitung der Schwelle von 50 % der Stimmrechte durch den Aktionärspool infolge der Transaktion keine Angebotspflicht für diesen auslöst. Eventualiter wurde vom Aktionärspool die Gewährung einer Ausnahme von der Angebotspflicht gemäss Art. 136 Abs. 1 lit. b FinfraG ohne Auflagen beantragt. 

II. Erwägungen der UEK zum Vorliegen einer Angebotspflicht

1. Rechtliche Grundlagen 

Betreffend den Hauptantrag stellte die UEK zunächst die rechtlichen Grundlagen der Angebotspflicht dar, namentlich Art. 135 Abs. 1 S. 1, Art. 163 Abs. 1 FinfraG sowie Art. 135 Abs. 4 S.1 FinfraG i.V.m. Art. 37 FinfraV-FINMA (Rz. 6 – 8). Unter anderem bestehe nach Art. 163 Abs. 1 FinfraG für denjenigen, welcher am 1.2.1997 direkt, indirekt oder in gemeinsamer Absprache mit Dritten über Beteiligungspapiere verfügte, die ihm die Kontrolle über mehr als 33 1⁄3 %, aber weniger als 50 % der Stimmrechte einer Zielgesellschaft verliehen, eine Angebotspflicht für alle kotierten Beteiligungspapiere der Gesellschaft, wenn er Beteiligungspapiere erwerbe und damit den Grenzwert von 50 % der Stimmrechte überschreite. Weiter stelle Art. 135 Abs. 4 S. 1 FinfraG eine Delegationsnorm dar, wonach die FINMA Bestimmungen über die Angebotspflicht erlasse. In casu sei die übergangsrechtliche Regelung von Art. 37 FinfraV-FINMA relevant, wonach eine Person, die eine vor dem 1.1.1998 erworbene Beteiligung von 50 % oder mehr der Stimmrechte einer Gesellschaft auf einen Anteil von unter 50 % reduziere, ein Angebot nach Art. 135 FinfraG unterbreiten müsse, wenn sie später den Grenzwert von 50 % wieder überschreite. 

2. Ausführungen des Aktionärspools von Roche 

Der Aktionärspool zweifelte das Vorliegen der gesetzlichen Grundlage für die Regelung des Art. 37 FinfraV-FINMA an, da das Gesetz (aBEHG bzw. FinfraG) keine spezielle Regelung für Aktionäre, die vor dem 1.1.1998 mehr als 50 % der Stimmrechte hielten, vorsehe (Rz. 9). 

Zudem würde sich nach Ansicht des Aktionärspools Art. 37 FinfraV-FINMA von seinem Wortlaut klarerweise nur auf eine einzelne Person beziehen, weswegen es unzulässig sei, Art. 37 FinfraV-FINMA auf Aktionärsgruppen auszudehnen (Rz. 10).

3. Rechtliche Würdigung der UEK 

Die UEK stellte fest, dass sowohl in der Rechtslehre als auch in der Praxis zumindest Zweifel darüber bestehen würden, ob Art. 37 FinfraV-FINMA gesetzmässig sei. Ebenfalls sei unklar, ob eine in gemeinsamer Absprache handelnde organisierte Gruppe nach dem Wortlaut von Art. 37 FinfraV-FINMA unter dieser Bestimmung überhaupt angebotspflichtig werden könne. Die UEK liess dies jedoch offen, da dem Aktionärspool eine Ausnahme von der Angebotspflicht gewährt werden konnte (Rz. 19).

III. Erwägungen der UEK zur Ausnahme von der Angebotspflicht

1. Rechtliche Grundlagen

Die UEK prüfte, ob im vorliegenden Fall eine Ausnahme aufgrund von Art. 136 Abs. 1 FinfraG gewährt werden konnte. Nach Art. 136 Abs. 1 lit. b FinfraG könne die UEK eine Ausnahme von der Angebotspflicht gewähren, wenn die Überschreitung des Grenzwertes «aus einer Verringerung der Gesamtzahl der Stimmrechte der Gesellschaft resultiert» (Rz. 22). Sie stellte die diesbezügliche Praxis des Bundesgerichts, der FINMA und der UEK dar (Rz. 26 – 31), wonach der Ausnahmetatbestand grosszügig auszulegen und die Ausnahme zu gewähren sei, wenn keine Indizien für ein Umgehungsgeschäft vorlägen oder andere Gründe dagegen sprächen (Rz. 26); insbesondere könne nach der Praxis der UEK die Ausnahme grundsätzlich dann gewährt werden, wenn die Überschreitung der Schwellenwerte unfreiwillig erfolge (Rz. 31).

2. Rechtliche Würdigung der UEK 

Die UEK sah die Voraussetzungen von Art. 136 Abs. 1 lit. b FinfraG im vorliegenden Fall als erfüllt an, da der Aktionärspool den Grenzwert von 50 % der Stimmrechte an Roche lediglich deshalb überschreite, weil die Gesamtzahl der Stimmrechte an Roche infolge der Transaktion verringert werden solle (Rz. 34). 

Auch konnte die UEK keine Indizien für ein Umgehungsgeschäft erkennen, da der Aktionärspool die Transaktion weder initiiert noch mitverhandelt habe; auch strebe er die Erlangung einer weitergehenden Kontrolle über Roche nicht aktiv an. Er habe auch keinen Einfluss auf die Entscheidfindung über die Transaktion im Verwaltungsrat von Roche genommen. Infolgedessen werde die Überschreitung der Schwelle von 50 % der Stimmrechte an Roche durch den Aktionärspool unfreiwillig erfolgen (Rz. 35).

Mit Blick auf die Interessen der Minderheitsaktionäre stellte die UEK fest, dass sich nach Vollzug der Transaktion die Kontrollverhältnisse an Roche nicht wesentlich änderten, da der Aktionärspool Roche bereits mit seiner aktuellen Beteiligung de facto beherrschte. Daran änderte auch die Erhöhung der Beteiligung des Aktionärspools auf rund 67 % der Stimmrechte nichts Entscheidendes. Die Minderheitsaktionäre und die Genussscheininhaber profitierten vielmehr durch die Gewinnverdichtung, die aus der Kapitalherabsetzung resultierte (Rz. 37). 

Im Ergebnis hat die UEK dem Aktionärspool von Roche die beantragte Ausnahme von der Angebotspflicht gewährt (Rz. 38).

iusNet BR-KR 23.12.2021