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Sanktionierung eines Emittenten durch die Börse als Verfügung i.S.v. Art. 5 VwVG?

Sanktionierung eines Emittenten durch die Börse als Verfügung i.S.v. Art. 5 VwVG?

Fachbeitrag
Börsen(-recht) / (Kapitalmarkttransaktionen)

Sanktionierung eines Emittenten durch die Börse als Verfügung i.S.v. Art. 5 VwVG?

Urteil des Bundesverwaltungsgerichts B-2233-2020 vom 16.2.2021

Einleitende Bemerkungen

Die Regulierung der schweizerischen Börsen zeichnet sich seit dem Inkrafttreten des BEHG im Jahr 1997 durch den Grundsatz der Selbstregulierung aus; das BEHG war aus diesem Grund lediglich als sog. Rahmenordnung konzipiert worden.1 Auch im Rahmen der Einführung des FinfraG wurde an diesem Grundsatz festgehalten, weil sich das Prinzip der Selbstregulierung in diesem Bereich – so die Ansicht des Bundesrates – bewährt habe.2 Dies ist insofern besonders erwähnenswert, als in den meisten europäischen Ländern für die Wahrnehmung der Börsenaufsicht auf staatliche Behörden und ein hoheitliches Verfahren gesetzt wird. 

Das schweizerische System ist im europäischen Umfeld einzigartig und räumt den Börsen u.a. die Möglichkeit ein, sowohl Marktnähe herzustellen als auch rasch auf sich verändernde Umstände reagieren zu können; diese Faktoren führten und führen wiederum dazu, dass der Finanzplatz Schweiz aus globaler Perspektive als attraktiv wahrgenommen wird. 

Im geltenden Recht wird der Grundsatz der Selbstregulierung in Art. 27 FinfraG festgehalten. Darin wird vom Gesetzgeber statuiert, dass der Handelsplatz unter der Aufsicht der FINMA eine eigene, seiner Tätigkeit angemessene, Regulierungs- und Überwachungsorganisation zu gewährleisten hat. Auch hat der Handelsplatz der FINMA seine Reglemente und deren Änderungen zur Genehmigung zu unterbreiten.3

Die Börse hat sodann ein Reglement über die Zulassung von Effekten zum Handel (insbesondere über die Kotierung von Effekten) zu erlassen, die Einhaltung des Reglements zu überwachen und bei Verstössen die vertraglich vorgesehenen Sanktionen zu ergreifen.4 

Die Sanktionen und Rechtsmittel werden bei der Schweizer Börse SIX in den Art. 59 ff. bzw. Art. 62 ff. des Kotierungsreglements geregelt; die entsprechenden Verfahrensvorschriften sind in der sog. Verfahrensordnung enthalten.

Fraglich war bis anhin jedoch, wie die im Rahmen der Selbstregulierung ausgesprochenen börsenrechtlichen Sanktionen juristisch zu qualifizieren sind, namentlich, ob es sich dabei um Verfügungen handelt. Damit verbunden war auch die Frage, ob die Börse bei der Aussprechung von börsenrechtlichen Sanktionen – trotz dem geltenden Grundsatz der Selbstregulierung – als «Behörde» agiert.

Mit diesen Fragen konnte sich das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen des Urteils B-2233-2020 vom 16. Februar 2021 nun erstmals detailliert auseinandersetzen. Zudem wurde im genannten Urteil auf die Frage betreffend die Gültigkeit von Schiedsgerichtsvereinbarungen eingegangen – dieser Aspekt wird vorliegend allerdings nicht weiter thematisiert. 

Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ist insofern begrüssenswert, als es zur Klärung des Begriffs und der Bedeutung der «Selbstregulierung» der Schweizer Börsen beiträgt und auch aufzeigt, dass das komplexe System von staatlicher Regulierung und (privater) Selbstregulierung – obschon etabliert, bewährt und bewahrenswert – nicht in allen Einzelheiten abschliessend durchdacht scheint.

Sachverhalt

Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Finanzberichte der an der Schweizer Börse SIX kotierten X AG (Beschwerdeführerin) wurden von der SIX Exchange Regulation AG (Beschwerdegegnerin) im Rahmen ihrer Überwachungstätigkeit überprüft; in der Folge wurde ein Sanktionsverfahren gegen die Beschwerdeführerin eröffnet und dieser ein Sanktionsantrag zur Stellungnahme zugestellt; Sanktionsantrag sowie Stellungnahme wurden sodann an die Sanktionskommission der SIX Group AG (Vorinstanz) zur Entscheidfindung übermittelt. 

Die Vorinstanz kam zum Schluss, dass börsenrechtliche (reglementarische) Vorschriften verletzt worden seien, und wies in der Rechtsmittelbelehrung darauf hin, dass gemäss der anwendbaren Verfahrensordnung innert 20 Börsentagen ab Zustellung des Entscheides beim Schiedsgericht der SIX Group AG Klage erhoben werden könne. 

Die Beschwerdeführerin gelangte – entgegen den Hinweisen in der Rechtsmittelbelehrung – an das Bundesverwaltungsgericht und beantragte die Aufhebung des Entscheides der Sanktionskommission. In ihrer Beschwerde machte sie u. a. geltend, dass sie zwar eine Schiedsvereinbarung mit der Vorinstanz und der Beschwerdegegnerin abgeschlossen habe, dass diese Vereinbarung aber rechtswidrig und daher unwirksam sei. Zudem sei vorliegend ohnehin das Bundesverwaltungsgericht und nicht das Schiedsgericht der SIX Group AG zuständig, da es sich bei der Vorinstanz um eine verfügende Instanz oder Organisation ausserhalb der Bundesverwaltung handle. 

Die Beschwerdegegnerin beantragte demgegenüber, auf die Beschwerde sei mangels Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts nicht einzutreten, zumal der angefochtene Sanktionsentscheid beim vertraglich vereinbarten Schiedsgericht anzufechten sei.

Das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde vor diesem Hintergrund auf die Eintretensfrage beschränkt. 

Zu den Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts

In E. 1 rief das Bundesverwaltungsgericht die Grundsätze der Prozessvoraussetzungen in Erinnerung und führte unter Hinweis auf Art. 33 lit. h VGG aus, dass eine Beschwerde u. a. gegen Verfügungen von Instanzen oder Organisationen ausserhalb der Bundesverwaltung, die in Erfüllung der ihnen übertragenen öffentlich-rechtlichen Aufgaben des Bundes verfügen würden, zulässig sei.

In E. 2 wurde festgehalten, dass zunächst zu prüfen sei, ob es sich im vorliegenden Fall um ein gültiges Anfechtungsobjekt handle, das anhand einer Beschwerde vom Bundesverwaltungsgericht überprüft werden könne. Das Bundesverwaltungsgericht stellte klar, dass das Vorliegen einer Verfügung als Anfechtungsobjekt eine Sachurteilsvoraussetzung darstelle. 

Die Frage, ob es sich beim Sanktionsentscheid der Vorinstanz um eine Verfügung – und damit um ein gültiges Anfechtungsobjekt – handelt, wurde vom Bundesverwaltungsgericht primär unter Zuhilfenahme der bundesrechtlichen Vorgaben für den Betrieb von Finanzmarktinfrastrukturen geprüft. So ging das Bundesverwaltungsgericht als Erstes grundsätzlich auf die Rechtsgrundlagen und die Sanktionsmechanismen der Börse ein, zumal die gesetzlichen Vorgaben und die Ausgestaltung der Streitbeilegungsmechanismen der Börsen die Rechtsnatur eines Entscheids und die zur Verfügung stehenden Rechtsmittel unmittelbar beeinflussten. Dabei bildeten, so das BVGer, die Überwachung des Kapitalmarkts und die Sanktionierung von Verstössen ein komplexes Gesamtsystem, das von einem Zusammenspiel zwischen staatlicher Regulierung und Selbstregulierung geprägt sei.  

Das Bundesverwaltungsgericht führte aus, dass die Börse gemäss FinfraG gewisse Selbstregulierungserlasse zu schaffen habe, die sie der FINMA als Aufsichtsbehörde unterbreiten müsse; die Genehmigung von Reglementen durch die Aufsichtsbehörde könne diesen jedoch nicht den Charakter von hoheitlich erlassenen Rechtsakten verleihen. Unter Hinweis auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung5 erinnerte das Bundesverwaltungsgericht zudem daran, dass die verfahrensrechtlichen Regelungen in den Börsenreglementen nur zwischen denjenigen Parteien Wirkung zeitigen könnten, zwischen denen die Regelungen gültig vereinbart worden seien (mithin also zwischen der Börse und dem jeweiligen Emittenten).

In E. 2.4.6. widmete sich das Bundesverwaltungsgericht schliesslich der Frage, ob die Vorinstanz (sprich die Sanktionskommission der SIX Group AG) hoheitlich handeln und nach Art. 5 Abs. 1 VwVG verfügen könne. 

Das Bundesverwaltungsgericht erwog, dass die Vorinstanz ihre Selbstregulierung nach den Vorgaben des FinfraG der FINMA als Aufsichtsbehörde zur Genehmigung zu unterbreiten habe; mit der Selbstregulierung solle das reglementarisch vorgesehene Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten mit der Börse ebenfalls von der FINMA genehmigt werden. Dabei habe die FINMA die Genehmigung zu erteilen, sobald die Selbstregulierung den Voraussetzungen des Gesetzes entspreche. Eine der Bewilligungsvoraussetzungen, um als Handelsplatz respektive als Börse tätig sein zu dürfen, bestehe darin, dass die Vorinstanz ein System zur Streitbeilegung einrichte, das sich nach den Vorgaben des FinfraG richten würde. Dies sei vorliegend der Fall.

Selbst wenn es sich bei den von der Schweizer Börse SIX erlassenen Reglementen um Normen des Bundesrechts handeln würde, wäre eine normative Geltung nur denkbar, sofern beim Erlass der Bestimmungen die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen der Gesetzesdelegation eingehalten würden. Der Inhalt der Reglemente werde im Gesetz nicht näher konkretisiert, womit eine Gesetzesdelegation nach Art. 164 Abs. 2 BV für die Börsenregularien der SIX von Vornherein ausscheide.

Das Bundesverwaltungsgericht hielt schliesslich fest, dass bereits der Gesetzeswortlaut von Art. 35 Abs. 3 FinfraG von "vertraglichen" Sanktionen spreche. Diese Formulierung führe zum Schluss, dass der Gesetzgeber die Börse dazu habe anhalten wollen, mit den Handelsteilnehmern auf vertraglicher Basis (und damit auf Augenhöhe) ein Sanktionssystem einzurichten und dieses zu unterhalten. Die Sanktionen und das Verfahren, in dessen Rahmen die Sanktionen bestimmt würden, seien von der vorgängigen Zustimmung durch die betroffenen Emittenten abhängig. Auch dieser Aspekt spreche gegen das Vorliegen einer Verfügung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 VwVG, da die Anordnung einer Verfügung gerade nicht auf vertraglicher Basis (sondern vielmehr hoheitlich) erfolge. In casu hätten die Beschwerdeführerin und die Beschwerdegegnerin eine Vereinbarung unterzeichnet, die unter anderem auch die Zuständigkeit eines Schiedsgerichts beinhalte. Die Einholung der Zustimmung der Beschwerdeführerin (als Emittentin) zur Streiterledigung mittels eines Schiedsgerichts sei zudem auch im Kotierungsreglement der SIX vorgesehen. Wenn sich ein Emittent anhand seiner Zustimmungserklärung dem Regelwerk des Börsenplatzes unterwerfe, verpflichte er sich damit auch zur Duldung oder Leistung einer Sanktion. Daraus ergebe sich, dass die Vorinstanz allfällige Sanktionen zum Vornherein nur aus einem Vertrag ableiten könne. Folglich seien auch weder ein hoheitliches Handeln noch eine hoheitliche Anordnung der Vorinstanz gegeben. Weiter sei daraus zu schliessen, dass sich eine Sanktion, die sich aus Börsenreglementen ergebe, nicht auf Bundesrecht, sondern auf eine vertragliche Regelung zwischen Emittenten und der Börse stütze, wie dies mit der in Art. 35 Abs. 3 FinfraG vorgesehenen Aufgabe der Börse zur Überwachung ihres Handels vorgegeben sei.

In E. 2.7 fasste das Bundesverwaltungsgericht seine hiervor aufgezeigten Überlegungen zusammen und führte aus, dass im Ergebnis überhaupt keine Verfügung i.S.v. Art. 5 VwVG vorliegen könne, womit es bereits an einem tauglichen Anfechtungsobjekt fehle; konsequenterweise trat das Bundesverwaltungsgericht auf die Beschwerde nicht ein. 

  • 1. Botschaft zu einem Bundesgesetz über die Börsen und den Effektenhandel (Börsengesetz, BEHG) vom 24. Februar 1993, BBl 1993, S. 1378 ff.
  • 2. Botschaft zum Finanzmarktinfrastrukturgesetz (FinfraG) vom 3. September 2014; BBl 2014, S. 7485.
  • 3. Art. 27 Abs. 1 und 4 FinfraG.
  • 4. Art. 35 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 FinfraG.
  • 5. BGE 137 III 37 E. 2.2.1.
iusNet BR-KR 28.10.2021